Auszug aus Robert Musil: „Der Mann ohne Eigenschaften“

„Ich bin nicht fromm. Ich sehe mir den heiligen Weg mit der Frage an, ob man wohl auch mit einem Kraftwagen auf ihm fahren könnte.“

 

„Stell dir vor, irgendein Kanzleirat in fabrikneuen Lederhosen sitzt dort, mit grünen Hosenträgern, auf die Grüß Gott gestickt ist: er ver-
tritt den reellen Gehalt des Lebens, der sich auf Urlaub befindet. Dadurch ist das Bewußtsein, das er von seinem Dasein hat, natürlich für den Augenblick verändert. Wenn er die Rinderherde ansieht, so zählt; er nicht, beziffert nicht, schätzt nicht das Lebendgewicht der vor‘ ihm weidenden Tiere, verzeiht seinen Feinden und denkt milde von seiner Familie. Die Herde ist aus einem praktischen sozusagen ein moralischer Gegenstand für ihn geworden. Es kann natürlich auch sein, dass er doch ein wenig schätzt und ziffert und nicht ganz verzeiht, aber dann wird es wenigstens umspielt sein von Waldesrauschen, Baches-murmeln und Sonnenschein. In einem Satz kann man das so sagen: Was sonst den Inhalt seines Lebens bildet, erscheint ihm fern und ei- gentlieh unwichtig.“Es ist eine Ferialstirnmung‘ ergänzte Agathe mechanisch.’Sehr richtig! Und wenn ihm das nichtferiale Dasein darin eigentlich unwichtig vorkommt, so heißt das nur: auf Urlaubsdauer. Das ist also heute die Wahrheit: der Mensch hat zwei Daseins-, Bewußtseins- undDenkzustände und bewahrt sich vor einem tödlichen Gespensterschreck, den ihm das einflößen müßte, auf die Weise, daß er die eine fiir den Urlaub von den anderen hält, für ihre Unterbrechung,,Ruhe oder irgendetwas an ihnen, das er zu kennen glaubt. Mystik dagegen wäre verbunden mit der Absicht auf Dauerferien.“

 

Robert Musil : Der Mann ohne Eigenschaften

 

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