Von Schnaps und Schulverweigerern

Einen „Goldenen Drachen der Weisheit“ im zweiten Band an ihrer Seite zu haben, erweist sich für die Helden in vielerlei Hinsicht als beruhigend; wenngleich alles was dieser zu sagen hat rätselhaft daher zu kommen scheint. Immer aber wenn Li Si oder Jim zu zweifeln beginnen, erinnern sie sich der Prophezeiungen des Drachen und gewinnen erneut Vertrauen in ihr eigenes Handeln. Oft erst vermittelt durch eine empathische Begleitung, ist es dieses notwendige Vertrauen in die ausgleichenden Kräfte unserer Psyche, welches uns dazu befähigt, weiter und tiefer in unserer Vergangenheit zu graben. Nicht alles was der Drache zu sagen hat, erscheint angenehm und gerufen, doch es ist die Botschaft eines lohnenden Prozesses und eines versöhnlichen Endes, das uns trotz aller Widerstände weiter machen lässt.

Der zweite Band widmet sich, wie der Name schon verrät, der Wilden 13, einer berüchtigten Bande von Seeräubern, die im Rahmen der Kindsentführungen ja schon erwähnt worden waren. Sie werden als wagemutige, nahezu unbesiegbare Seebären geschildert, die zwar unermessliche Reichtümer anhäufen, deren einziges Ansinnen jedoch darauf gerichtet scheint, den stärksten Schnaps zu ergattern, dessen sie habhaft werden können. Es ist Frau Mahlzahn, die ihnen diesen Herzenswunsch im ersten Band noch zu erfüllen vermag. Während meiner inneren Vorbereitung auf diesen Beitrag zu „Heilsame Bücher“ als frühe Erinnerung an das Buch, verwandelten sie sich nach ihrer Befriedung durch Jim Knopf in kleine verletzte Mädchen und ich musste nach nochmaligem Lesen in einem eher reifen Alter feststellen, dass diese Erinnerung mich getrogen hatte und einer Verwechslung mit einem Buch von Max Kruse unterlegen war. Meine Enttäuschung war entsprechend abgrundtief ausgefallen und ich sah mein Gesamt-Konzept der verletzten inneren Kinder einen imaginären Niagara-Fall hinunterstürzen und an dessen Klippen zerschellen.

Niemals hatte ich erlebt, dass Drogen oder Alkohol einen Menschen hatten helfen können zu retten, doch in diesem Fall, -ich muss es zähneknirschend eingestehen-, hatte der Schnaps mich gerettet. Etwas hatte mich stutzig gemacht an den rauf- und sauflustigen Gesellen, etwas das ich schon,- nicht nur einmal -, gesehen hatte: In meinem Leben sind mir eine Vielzahl von Menschen begegnet, die ihre psychische Verfasstheit über weite Strecken ihres Lebens nur deshalb auszuhalten vermochten, indem sie sich möglichst dauerhaft betäubten; seien es Alkohol, Drogen, Automatenspiele, Arbeit oder vergleichbares gewesen. Immer war es darum gegangen, so scheint es mir, den verhassten verletzten inneren Kindern zu entfliehen; der eigenen psychischen Wirklichkeit auf die Weise eines veränderten oder verdrängenden Zustandes zu entkommen. Wenn ich mir diese Situation des Verdrängens vor meinem inneren Auge versuche vorzustellen, dann schießt mir oft genug eine Bilderreihe in den Kopf,einem Kinofilm gleich,wie jemand einem, sagen wir 5-jährigen traumatisierten und ausgesprochen bekümmerten Kind erklärt, dass er es mit ihm im Moment nicht aushalte, daraufhin in seiner Wohnung einsperrt und für zwei Tage in einer Kneipe, Spielhalle oder auch einem Büro verschwindet. Ehrlich gesagt möchte wohl niemand in der Haut desjenigen stecken, wenn er dann wieder nach Hause kommt. Ich verweise in diesem Zusammenhang gerne noch einmal auf Fußnote 3 des vorhergehenden Beitrags, in der ich auf das Gesetz zur Erhaltung der Materie und Energie hinweise.

Auch unsere Seeräuber also sind dem Schnaps verfallen. Kämpfen sie deshalb aber notwendig darum, ihre verletzten Anteile zu betäuben? Die Vermutung liegt zumindest nahe. Einen weiteren Verdachtsmoment lässt der Umstand einer massiven Bildungsverweigerung aufkommen. Sie sind so ungebildet, dass sie zusammen nur die Hälfte des Alphabets beherrschen; jeder von ihnen also nur einen Buchstaben, so dass sie es leidlich vermögen unter äußersten Anstrengungen Briefe an ihre Geschäftspartner zu verfassen. Auch Jim Knopf lehnt es ab, sich in schulischen Angelegenheiten unterweisen zu lassen, was wiederholt zu Spannungen zwischen ihm und seiner hervorgehoben gelehrigen Freundin Li Si führt. Erinnern wir uns des drachenhaften Rufes, der ganzen Generationen von Lehrern nacheilt, in der Hoffnung, dass Gegenwart und Zukunft eine andere Geschichte davon zu erzählen wissen, dann verwundert diese Verweigerungshaltung wenig bis gar nicht. Im Verlauf dieser Erzählung wird sich der Verdacht womöglich noch erhärten lassen.

Dialektische Verwicklungen

Eigentlich sind unsere Helden ja unterwegs, um verschiedene Figuren des ersten Bandes, die dort eine eher unglückliche, wenn auch für das Gelingen des Abenteuers entscheidende Rolle spielen, ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen. Alles beginnt damit, dass das Postboot des Nachts mit einem gewaltigen Rumms an die Landesgrenzen von Lummerland stößt. Um zu verhindern, dass dies womöglich mit größeren Schiffen passiert, die auch ungleich größeren Schaden anrichten könnten, wird eine Lösung für einen Leuchtturm gesucht. Für einen solchen gibt es auf der kleinen Insel aber keinen Platz und so ist es Jim Knopf, der auf die einfache wie geniale Idee kommt, den Scheinriesen Herrn Tur Tur als Leuchtturm zu engagieren. Wieder machen sich unsere Helden auf, in ein neues Abenteuer zu starten und so werden die Lokomotiven Emma und Molly, ihre Tochter, die Lukas nach ihrer Geburt Jim geschenkt hatte, erneut seefest gemacht. Jim also hat nun ein eigenes Vehikel, mit dem er mehr und mehr die größer werdende Welt des Heranwachsenden befahren soll. Unterwegs treffen sie auf die unglücklichen Bewohner der Tiefsee, repräsentiert durch die Seeprinzessin Sursulapitschi, denen ihr Meeresleuchten abhandengekommen ist. Wieder also wird in dem Symbol des Meerwassers auf die Welt der Gefühle angespielt, denen ihre Leuchtkraft abhandengekommen ist.

Sie lösen das Rätsel, indem sie auf einer kleinen zerklüfteten Insel jenen Magnetismus wieder aktivieren, der für das Meeressleuchten verantwortlich ist. Die Sache hat nur einen Haken: solange der Magnetismus aktiv ist, wird alles was aus Metall ist, von der mächtigen Kraft des ungewöhnlichen Riesen-Magneten angezogen, so dass Schiffe an den Klippen zerschellen und nichts, was aus Eisen ist, die Insel zu verlassen vermag. So ist das Rätsel zwar gelöst, das Problem aber bleibt bestehen, da die vulkanische Hitze in den Tiefen der Klippen, wo der Magnetismus aktiviert werden kann, für Wasserwesen nicht auszuhalten ist. Und noch ein weiteres offenbart sich: die kleine Seejungfrau Sursulapitschi, die sie kennengelernt haben, ist tief traurig, da sie ihren Verlobten solange nicht heiraten darf, bis dieser das Rätsel gelöst hat, wie das „Kristall der Ewigkeit“ herzustellen sei; eine uralte Kunst, deren Geheimnisse in den Wirren der Zeit verloren gegangen sind. Um es herzustellen ist ihr Bräutigam darauf angewiesen, mit einem der verfeindeten Feuerwesen zusammen zu arbeiten. Dafür erfinden Jim und Lukas aber beinahe nebenbei ein sogenanntes Perpetumobil, indem sie sich die ungeheure magnetische Kraft des unwirtlichen Ortes zunutze machen und einen Magneten vor Emma spannen, der sie mit großer Macht unweigerlich anzieht und dadurch sogar zum Fliegen bringen kann. Unser seelisches Vehikel hat seine Geschwindigkeit nun also vervielfacht und erhebt sich in die Lüfte, allerdings um den Preis, dass Molly, Jims Lokomotive vorerst auf den Klippen zurückgelassen werden muss.

So fliegen unsere Freunde also diesmal über das „Dach der Welt“ in die Wüste des Herrn Tur Tur, den sie in einer misslichen Lage vorfinden. Sein Haus sei von einem grässlichen Monster besetzt, so berichtet er ihnen, das ihn fressen wolle. Als sie dieses nun inspizieren, um es von dem Ungetüm zu befreien, stoßen sie hier wiederum auf ihren Freund Nepomuk, der völlig verängstigt unter dem Bett kauert und sich in dem Haus versteckt hält, weil er glaubt, dass der schreckliche Riese ihn hier nicht finden könne. Nepomuk hat den Verrat an seinen Artgenossen im ersten Band teuer bezahlt und sich mit letzter Kraft in die Wüste gerettet, wo er sich nun quasi ein Scheingefecht mit dem Scheinriesen liefert, welches glücklich durch die integrative Kraft unserer Freunde aufgelöst werden kann. Wer einmal die heilsame Wirkung der „gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg miterlebt hat, wird vielleicht wissen, wie ungeheuer erleichtert sich unsere beiden Kontrahenten nach der Auflösung des Konfliktes gefühlt haben mögen. Auf den ersten Blick könnte man es als klassisches Missverständnis identifizieren, so unnötig wie faszinierend zugleich,welches zu mancher Zeit schon zur Vernichtung beinahe ganzer Volksgruppen geführt hat und  sicherlich den Meisten schon einmal unterlaufen ist. Blickt man jedoch tiefer auf den Grund dieser zwischenmenschlichen Beziehung, so wird nun deutlich, dass hier Bedeutenderes vor sich geht. Es ist die klassische Begegnung mit dem eigenen Schatten; das, was wir am Anderen besonders fürchten, kritisieren oder womöglich verachten ist in der Regel ein unbewusster Anteil unseres Selbst und wir flüchten uns in die Ablehnung, um uns nicht mit diesem ungeliebten Anteil beschäftigen zu müssen.Wir negieren  stellvertretend im Anderen, was uns das Leben so häufig schwer macht. Dabei vermögen wir den Schatten des Anderen mit seinen Umrissen nur deshalb so genau zu erkennen, weil er uns aus der eigenen Lebenswirklichkeit nur zu genau bekannt ist.

Verschiedene Lösungen und ein Hauch von Erlösung

Auch für den unglücklichen Halbdrachen findet sich aber nun eine ausgesprochen befriedigende und sinnvolle Lösung, da er in Zukunft für die Aktivierung des Magnetismus der Klippen-Insel verantwortlich sein soll; als Feuerwesen ist er geradezu prädestiniert dafür, in der vulkanischen Hitze der Unterwelt zu leben. Und noch ein anderes zeigt sich, als die Freunde schließlich die Klippen erreichen: Er ist das heiß ersehnte Feuerwesen, mit dessen Hilfe sich der Bräutigam der kleinen Seeprinzessin nun an die Arbeit machen kann, das Geheimnis des „Kristalls der Ewigkeit“ zu lösen. Die Gegensätze, jeder für sich dazu verdammt unglücklich und unvollendet zu bleiben heben sich in einer dialektischen Weise auf eine neue Stufe der Einheit, um etwas vollkommen Neues zu schaffen. Auch dies ist keinesfalls eine bloße akademische Marotte der Philosophie, sondern ein wohltuendes Geheimnis der Seele, wenn es gelingt unterschiedliche, scheinbar wahllos nebeneinander her existierende und unglücklich miteinander konkurrierende Persönlichkeitsanteile zu versöhnen und in eine konsistente Persönlichkeitsstruktur zu integrieren.

Dennoch ist damit mitnichten alles gut. Im Gegenteil: Jim Knopf muss feststellen, dass Molly, seine ebenfalls heranwachsende Lokomotive, die sie hier auf den Klippen zurücklassen mussten, scheinbar spurlos verschwunden ist. Dies ist ein Moment größter Gefahr und auf der Suche nach dem Gefährt begeben sich unsere Freunde mitsamt der Lokomotive Emma auf den Grund des Meeres, da sie befürchten, dass Molly womöglich während eines Sturms auf das Meer getrieben sein könnte. Meer, Wasser – wir erinnern uns: das ist das Element der nun, -weil auf dem Meeresgrund stattfindend-, tiefsten Gefühle, ausgelöst von der Beschäftigung mit dem Unterbewusstsein. Abgeschnitten von jeglicher vertrauten Lebenswelt, ganz der Macht der Gefühle und des Geheimnisvollen ausgesetzt, wird die Lokomotive von den Seepferdchen der Meerjungfrau und von dieser gelenkt über den Untergrund gezogen. Sicherlich die langsamste und auch unheimlichste aller Fortbewegungsarten, der Emma bislang ausgesetzt war. Und es kommt, wie es kommen muss; sie finden weder Molly noch gelingt es ihnen wiederaufzutauchen; das Gewicht des Vehikels ist für diese kleinen Helfer-Wesen der wässrigen Gefühlswelt schlicht zu groß. Sie müssen versuchen eine Insel zu finden, deren Strand seicht genug ist, um die Lokomotive langsam wieder herauf zu ziehen. Auf dieser Fahrt, während ihnen mehr und mehr die Luft zum Atmen knapp wird, passieren sie im Rausch des Benommenseins und unter Lebensgefahr unwirkliche und zauberhafte versunkene Landschaften und eine prächtige Stadt.

Als sie erwachen, dem Tode nur um eine Handbreit entkommen, liegen sie am Strand von Lummerland und jetzt erst, als ich diese Zeilen verfasse, wird mir deutlich, dass dieses seichte Ufer des Auftauchens einzig und alleine in der gemächlichen Geborgenheit einer glücklichen Kindheit stattfinden kann. Es konnte keine andere Insel als Lummerland gewesen sein, an dem dieses lebensrettende Manöver hätte gelingen können. Ist damit eine zumindest in Ansätzen glückliche und geborgene Kindheit notwendige Voraussetzung für die Bergung unserer verschütteten und verletzten Anteile? Sind alle die, denen das Leben anderes beschert hatte, damit zum Scheitern verurteilt? Ich weigere mich vehemnet diesem fatalistischen Verständnis der psychonautischen Arbeit zu erliegen. Gerade darum geht es ja in dieser fruchtbaren Auseinandersetzung mit verletzten inneren Anteilen: Selbstwirksamkeit zu erlangen; Emanzipation von dem verletzenden Blick von außen, – dem scharfrichterlichen Urteil, dem wir scheinbar unser gesamtes Leben ausgesetzt waren und das drohte, uns die Brust abzuschnüren und die Luft zum Atmen zu nehmen. Was für unsere Kindheit uneingeschränkt gilt; die Abhängigkeit von Bezugspersonen, dem kann im Erwachsenen-Alter etwas hinzugesetzt werden, das größer ist als die bloße Zuneigung und Liebe unserer Eltern, die uns als Kindern helfen sollte unsere Welt mit selbstbewussten Schritten zu erobern. Dieser Zusatz ist unsere eigene Selbstliebe und die Fürsorglichkeit unseren ureigenen Bedürfnissen gegenüber, die deshalb umso viel größer ist, weil sie unjs eine echte Handlungsfähigkeit bedeutet, anstatt einer Abhängigkeit von Anderen; geborgter Liebe von außen, so wichtig und wertvoll sie auch sein mag. Echter, authentischer Egoismus, wenn man so will. Ich behaupte nicht, dass es einfach ist, sondern möglich.

Vom Zufall des Dahingleitens, der Windhose und anderen Kräften der Natur

Nun beginnt der gefährlichste Teil der Reise: Die Jagd auf die Wilde 13. „Der Goldene Drache der Weisheit“ weist sie an, ein Schiff des Kaisers von Mandala auszurüsten, mit den Wellen und Farben des Meeres zu tarnen und den Kurs ebenfalls dem Spiel des Meeres zu überlassen. Jeder verstandesbegabte Mensch, den Kapitän des Schiffes eingeschlossen, muss hierüber den Kopf schütteln. Unsere moderne Welt ist darauf ausgerichtet, zielorientiert zu arbeiten, möglichst nichts dem Zufall zu überlassen und dann soll die Auseinandersetzung mit den Piraten, die Integration verschütteter und verwilderter Persönlichkeitsanteile dem Treiben auf dem Meer der Gefühle überlassen werden? Insofern vorgearbeitet wurde und der Prozess professionell begleitet wird, möchte ich dies aus tiefem Herzen bejahen. Reiner Maria Rilke schreibt hierzu: „Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, alles ist austragen – und dann gebären…“ Es erscheint manchmal quälend langsam, doch es scheint keine Alternative dazu zu geben. So kommt es denn, und die Helden einer Reise zu sich selbst treffen scheinbar wahllos auf ihren gefährlichsten Gegner. Die Wilde 13 erweist sich als im Kampf tatsächlich unbesiegbar und schlimmer noch, Molly, die diese von der Klippen-Insel gestohlen und auf ihr Schiff gebracht hatten, geht im Getümmel des Kampfes über Bord und versinkt in den Tiefen des Meeres. Alles scheint nun verloren. Auch in der tiefen Seelen-Arbeit wird es immer wieder Momente geben, an denen alles vergeblich erscheint und der scheinbar verständige Verstand uns einreden will, dass alles verloren scheint und man sich genauso gut in eine Kiste legen und darauf warten könne, dass das Leben an einem vorüberziehe. „Dreizehn Mann saßen auf einem Sarg, ho,ho,ho und ein Fass voller Rum […] bis einst alle dreizehn der Teufel holt“, klingt es heiser und schaurig beinahe schön aus den wunden Kehlen der Wilden 13.

Nachdem die Piraten ihre Gefangenen gefesselt haben segeln sie mit ihnen zu ihrer uneinnehmbaren Trutzburg, „dem Land, das nicht sein darf“. Dorthin kann nur gelangen, wer sich mit einem Schiff in eine fürchterliche Windhose begibt und von dieser soweit in die Höhe tragen lässt, bis er im düsteren Refugium der Wilden 13 gelandet ist; ein Akt ungeheuren Wagemuts und noch größerer seemännischer Geschicklichkeit, zu dem auf der ganzen Welt nur die Wilde 13 imstande ist. Die Windhose ist eines dieser seltsamen Naturphänomene. Wie beim Wirbelsturm wirken hier gewaltige Naturkräfte. In ihrer Mitte, dem sogenannten „Auge des Sturms“ herrscht paradoxerweise annähernde Windstille. Es ist ein Phänomen, wie es sich an anderer Stelle in der Natur verblüffend ähnlich gestaltet. In der osteopathischen/craniosacralen Biodynamik spricht man im Zusammenhang mit den auslösenden Ursachen einer Beschwerde von den sogenannten Fulkren. Wer als Behandler ein Fulkrum beobachtet, -und dies gilt im weiteren Sinn auch für denjenigen, der die Beschwerden hat -, und fixiert, d.h. nur das Phänomen selber sozusagen als Randerscheinung mit einem neugierigen Interesse verfolgt, läuft verstärkt Gefahr, es durch diese Fixierung zu vergrößern und die Beschwerden eskalieren zu lassen. Ich kenne es von meinen eigenen Läsionen in etwa so: Ich hatte vor nun beinahe 12 Jahren einen Bandscheibenvorfall. Immer wenn es nun in der Folgezeit zu Schmerzen kam, spielte sich folgender Mechanismus ab. „Du hast Schmerzen“, sagte mein Verstand. „Wir müssen uns große Sorgen machen!“ Durch diese psychische Aktivierung verschlimmerten sich die Schmerzen nun, was zu einer nochmals erhöhten negativen Psycho-Aktivität führte, die wiederum größere Schmerzen auslöste etc., bis sie schließlich unerträglich wurden. Ein echter Teufelskreislauf. Biodynamik setzt mit großer Achtsamkeit jedoch genau im „Auge des Sturms“ an, im Mittelpunkt des Fulkrums, und vermag es so, -ich habe bisher noch niemand getroffen, der es mir zufriedenstellend hätte erklären können -, den Kreislauf zu durchbrechen. Ich hatte einmal in einem Gebäude der Universitätsmedizin Mainz einen lateinischen Spruch als Inschrift an der Wand entdeckt, den ich mir mit meinen zugegeben rudimentären übersetzerischen Fähigkeiten ungefähr so zurechtlegte: „Die Krankheit stellt die Gesundheit wieder her.“ Dieser wohl annähernd zweitausend Jahre alte Satz beschreibt für mich treffend das Geheimnis der Biodynamik und damit auch jeglicher ganzheitlichen Heilung, die Psychoanalyse eingeschlossen.

End-scheidung

Hier also haben wir es auch mit einer solchen Windhose, wenn man so will, einem Fulkrum zu tun und sie führt in das Herz des Übels; den Zufluchtsort der Wilden 13. Die Besatzung des kaiserlichen Schiffs mitsamt Lukas ist gefangen, doch Einer ist den Piraten im Eiger des Gefechts entkommen: Jim Knopf. Er versteckt sich in der Takelage und gelangt so in das Lager der Piraten. Hier beobachtet er das Festgelage der wilden Männer, als der Anführer seinen Hut in die unmittelbare Nähe seines Verstecks wirft. Schon zuvor hatte er sich gefragt, wie sie sich untereinander und bezüglich ihres Anführers wohl auseinanderhalten konnten, denn sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Auch verletzte Anteile sind so gut wie nicht voneinander zu unterscheiden und nur mit viel Erfahrung und vor allem dem entsprechenden Gespür und Feingefühl voneinander zu trennen. Jim erinnert sich an die Worte des Drachen, dass er die Herrschaft übernehmen und den roten Stern ergreifen solle. Und diesen sieht er nun am Hut des Anführers aufblinken. Er nimmt ihn an sich und beobachtet weiter, wie sich die Piraten in eine annähernde Besinnungslosigkeit saufen. Als sie schließlich beratschlagen, was sie nun mit den Gefangenen tun sollten, erteilt ihnen der Anführer einen Befehl. Augenblicklich entbrennt ein heftiger Kampf, da dieser nicht mehr als solcher kenntlich ist und jeder Einzelne der Meinung ist, er wisse besser was zu tun sei. Die wüste Schlägerei endet in einem kollektiven KO, so dass Jim seine bewusstlosen Kontrahenten nur noch zu fesseln braucht und die Gefangenen zu befreien.

Diese Situation ist klassisch für die unmöglichen Zustände, in die einen verletzte Anteile mit großer Leichtigkeit hineinzumanövrieren vermögen und die oft als ein fürchterliches Wüten fremder und scheinbar fremdgesteuerter Kräfte wahrgenommen wird. Die Wilde 13, die in Wahrheit aus zwölf Anteilen besteht, stellt ein typisches Grundmuster dafür dar. Sie lassen sich schwer bis gar nicht voneinander unterscheiden und scheinen bisweilen gegeneinander zu arbeiten, sind sich in den fatalen Momenten ob ihrer zerstörerischen Wirkung aber immer einig. Scheinbar existieren sie besinnungslos nebeneinander, im entscheidenden Moment jedoch vermögen sie gezielt und konzertiert zu agieren, wenn das Ergebnis auch einigermaßen holprig aussehen kann, wie sich in den gemeinsam verfassten Briefen der vermeintlichen 13 zeigt. Nur ein Wesen mit einem gezielten Willen und Bewusstsein vermag es aus, wie wir nun wissen, 12 nur jeweilig beherrschten Buchstaben so etwas wie Sätze zu formulieren; es handelt sich bei der Wilden 13 also um eine Identität. Der einzige mir bekannte Weg diese Schreckensherrschaft zu beenden, besteht darin, die Kontrolle nach und nach an einen anderen Persönlichkeitsanteil zu übertragen, den Team-Manager, wenn man so will, der durch ein emotionales Wachstum, wie Jim Knopf es in seiner Kindheit auf Lummerland durchlaufen durfte, als eine gefestigte Persönlichkeit aus den zurückliegenden inneren Konflikten hervorgeht. Und genau dies, seine Aufgabe als übergeordnete Vermittlungs-Instanz wahrzunehmen, tut Jim, als er den roten Stern als Herrschafts-Signum an sich nimmt. Damit scheinen die Piraten besiegt. Beim darauffolgenden Rat beschließt Jim den Piraten das Leben dennoch zu schenken und dies erweist sich in vielfacher Hinsicht als weise. Vor allem rettet er damit sein eigenes Leben und das seiner Freunde. Wie sich nämlich herausstellt, können sie den unwirklichen Ort nicht ohne die überragende Steuerkunst der Piraten verlassen, so dass auch sie auf deren Wohlwollen angewiesen sind. Ich werde es nicht müde hier gerne noch einmal auf das nicht nur physikalische Gesetz vom Erhalt der Masse und der Energie zu verweisen. Damit steht der Rückkehr nach Mandala nichts mehr im Weg. Nebenbei wird noch die Herkunft von Jim Knopf geklärt, doch dazu an anderer Stelle mehr.

Die neue Welt

Wieder in Mandala schließlich steht noch die finale Konfrontation mit dem Drachen aus, dem die Wilde 13 vorwirft sie verraten zu haben. Zu ihrer Überraschung klärt sie der Drache jedoch über ihre tatsächliche Anzahl von 12 auf und das Missverständnis, dass 12 Anteile, von denen einer die Kontrolle übernimmt, immer noch nur 12 Anteile sind und nicht 13. Auf einer anderen Ebene bedeutet dies, dass durch den fehlenden 13. Anteil aber auch die Rolle eines Anführers, eines Team-Managers, d.h. eines Erwachsenen im Sinne eines möglichst objektiven Beobachters im Konstrukt der Wilden 13 zumindest hochgradig zweifelhaft geworden ist und damit einhergehend die eigene Identitätserzählung. Gleichzeitig ist dadurch die verhängnisvolle Unglücks-Zahl 13 aufgelöst und der Schwur, niemals irgendwem zu dienen, außer der, wie wir nun wissen, falschen Identität der Wilden 13. Stattdessen ergibt sich mit der Zahl 12 gleichsam eine Zahl biblischen Charakters, wie sie sich in der Anzahl der Jünger Jesu einen Ausdruck gibt Tatsächlich erweist sich Jim in Wahrheit als Prinz Myrrhen, dessen berühmter Vorfahr einst König Kaspar gewesen ist, einer der heiligen drei Könige. Dieser wiederum hatte in einer Fehde mit Frau Mahlzahn gelegen, die schließlich sein Königreich hatte untergehen lassen zu Gunsten des „Landes, das nicht sein darf“, also dem Refugium der Piraten. Um dieses versunkene Königreich nun wieder auferstehen zu lassen, bedarf es der Hilfe der mehr und mehr fortschreitend eher vormaligen Piraten, die sich nun dazu bekennen, wenn man so will, ihrem Team-Manager Jim zu folgen. Auch hier also wieder das Prinzip der größten inneren Feinde, die sich in mächtige Verbündete verwandeln. Sie alleine haben die Kraft und die Geschicklichkeit ihr einstiges Reich untergehen zu lassen, um das versunkene und verlorene Königreich über Meeresniveau zu heben. Dabei erhalten sie notwendig Hilfe von Jim und Lukas, die sich als wahre Meister ihres Geschicks und Leser des Schicksals erweisen. Nur in einer Konstellation, in der alle Persönlichkeitsanteile zusammen an der Aufgabe eines gelingenden Lebens arbeiten, stellt sich auch der Erfolg ein.

Es gelingt ihnen mit vereinten Kräften und unter größter Gefahr endlich, „das Land, das nicht sein darf“ zu versenken[1], so dass sie, als sie mit dem Schiff nach Lummerland zurückreisen, einen neuen Kontinent entdecken: Jims einst versunkenes Königreich, in deren Mitte als eine Art Bergspitze, das alte Lummerland thront. Diesen alten neuen Kontinent hatten sie schon zuvor einmal gesehen, während sie in Emma sitzend und von den Seepferdchen der Seeprinzessin auf dem Meeresgrund gezogen, unter Lebensgefahr an dem seichten Strand von Lummerland gelandet waren. Die Meeresbewohner; beinahe hätte ich es vergessen, eines galt es noch zu klären: das Schicksal von Molly. In der Zwischenzeit war es Sursulapitschis Bräutigam  mit Nepomuks Hilfe gelungen, den „Kristall der „Ewigkeit“ herzustellen und da die Untertanen des Meereskönigs Molly inzwischen vom Meeresgrund stark beschädigt hatten bergen können, war sie das erste Objekt, das in diesem unzerstörbaren und faszinierend zu betrachtenden Material gekleidet wurde und Jim am Ende der Geschichte zurückgegeben wird. Das Vehikel der Seele ist nun also in seiner Gänze zurückgewonnen und noch dazu transparent, so dass die Vorgänge der Bewegung und der Wandlung der Energieformen nicht länger im Verborgenen verbleiben. So schließt sich der Kreis und die alte Welt, die unseren Helden auf der Reise zu sich selbst einst zu klein geworden war, wird in ihrem vertrauten Rahmen der alten vertrauten und liebgewonnenen Identität zu einer neuen, geräumigeren und weniger beengenden Welt, in der neben dem transparent gewordenen Feuer der Seele eine schillernde Zukunft voller weiterer wunderbatrer Geheimnisse wartet .

[1] Und hier zeigt sich die Analogie bzgl. Windhose und psychischem Fulkrum: Ist die Windhose Bedingung der Möglichkeit für die Piraten um in das „Land das nicht sein darf“ nach ihren Raubzügen zu flüchten, also Vehikel des Bösen, wenn man so will, ist sie gleichzeitig auch die einzige Möglichkeit, nach der Einleitung der Zerstörung dieser Insel des Bösen, von dieser unbeschadet zu entkommen, um in die neugeschaffene Welt der Heilung und Ganzwerdung aufbrechen zu können, also eine notwendige Bedingung der Heilung.